Seminar: Folding Architecture and Unfolding Philosophy

1. Teil: „Wir bleiben Leibnizianer...


Bei dieser Lehrveranstaltung handelt es sich um eine Kombination von Seminar und Lektürekurs. Im Seminarteil versuchen wir uns in Form von Vorträgen und Referaten des vielgesichtigen Leibniz’ zu vergewissern. In fünf Blöcken, die sich über mehrere Seminarsitzungen verteilen können, unterrichten uns kleine Arbeitsgruppen über folgende Themenbereiche:

1. Schilderung des „Geschichts- und Kulturraumes“, in dem Leibniz wirkte und von dem er geprägt wurde. Wir müssen einen guten Eindruck davon bekommen, wie damals die politischen Verhältnisse und Bündnisse aussahen (nicht nur am hannoverschen Hof. Leibniz unterhielt u. a. diplomatische Beziehungen mit Wien, Paris, London und Petersburg!). Uns hat die Entwicklung von Wissenschaft, Kunst, Handwerk, „Industrie“ und Technik zu interessieren, die Bedeutung der Religion, Formen der Herrschaft, die Alltagskultur und Lebensbewältigung (Wohnen, Arbeiten, Essen, Sexualität, Kleidung, Gesundheit etc.), die Stellung des Intellöektuellen in der Gesellschaft und am Hofe und vieles andere mehr...

2. Kunst- und Kulturgeschichte des Barock. Während die erste Gruppe das Thema Kunst stiefmütterlich behandeln darf, steht hier die Schilderung der Entwicklung der Künste: der Literatur und Musik, besonders aber der Bildenden Künste (Architektur, Malerei und Bildhauerei) im Mittelpunkt. Einmal, um herauszufinden, was unter dem Barock als Epochenstil verstanden wird (z. B. bei Heinrich Wölfflin: Renaissance und Barock. Untersuchung über Wesen und Entstehung des Barockstils in Italien), und zum anderen im Hinblick auf Deleuze, der ja mit seinem Leibniz-Buch nicht nur eine Philosophie, sondern auch eine Ästhetik des Barock vorlegte. Im kunsthistorischen Zusammenhang dürfen wir uns einen Vorgriff auf die „Kunst der Falte“ erlauben...

3. Leibniz als Fürstenberater, Landeshistoriker, Jurist und Staatsrechtler, Politiker und Diplomat (Vordenker Napoleons, „Manipulator“ der englischen Thronfolge etc.). Hier werden die einschlägigen Biografien nützlich sein. Eine erste erschien schon 1717, ein Jahr nach seinem Tod, als Nachruf des Sekretärs der Académie des sciences in Paris, einem Monsieur Fontanelle, der sich auf das Manuskript des langjährigen Schreibers von Leibniz, J. G. Eckhart, stützte, das erst 1779 unter dem Titel „Lebensbeschreibung des Freiherrn von Leibniz“ in den Druck kam. „Des Herrn Fontanelles Lobschrift“ findet sich in der Ausgabe der Theodicee des Akademie-Verlages von 1996. Die älteste „moderne“ Biografie ist sehr umfangreich und stammt von G. E. Guhrauer (1846). Natürlich gibt es auch Leibniz-Biografien aus unserer Zeit (Eike Christian Hirsch: Der berühmte Herr Leibniz, München 2000) und eine Übersicht über Leibniz-Biographien von J. A. Eberhard und J. G. Eckhart (Hildesheim 1982).

4. Leibniz als Logiker, Mathematiker (Konkurrent Newtons), Naturwissenschaftler. Hierzu sind natürlich in erster Linie die vom Berliner Akademie Verlag herausgegebenen mathematischen Schriften und der naturwissenschaftlich-technische Briefwechsel bzw. die bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts von C. J. Gerhardt herausgegebenen mathematischen Schriften zu berücksichtigen. Übrigens gibt es einen Text von Erhard Scholz mit dem Titel „G. W. Leibniz als Mathematiker“, der als PDF herunter zu laden ist (www.math.uni-wuppertal.de/~scholz/preprints/Leibniz.pdf). Bertrand Russel hat sich zum Logiker Leibniz geäußert und Ernst Cassirer zum Wissenschaftler Leibniz. Wen der Prioritätenstreit in Sachen Infinitesimalrechnung interessiert, sollte außerdem in Isaac Newtons Philosophiae naturalis principia mathematica von 1687 schauen.

5. Leibniz als Sprachwissenschaftler und Vorläufer der Informatik, sowie als Konstrukteur der Rechenmaschine und Vorläufer des Computers (Unterthema: Leibniz als Ingenieur)
Darüber, dass Leibniz als Vorläufer der modernen Informatik und Computertechnologie
gelten kann, informieren Werner Künzel und Peter Bexte in ihrem Buch „Allwissen und
Absturz“ (1993). Dass Leibniz auch ein Pionier der Hardware war, zeigt die Tatsache,
dass er sich über lange Jahre mit dem Bau einer Rechenmaschine beschäftigte, die
alle vier Grundrechenarten ausführen sollte. In mehreren Anläufen entstanden einige
Versionen, die aber ihre Tücken hatten. Es ist nicht bekannt, ob seine letzte, die so
genannte jüngere Maschine zu seinen Lebzeiten funktioniert hat. Ein Mechaniker der
Tu Dresden stellte 1985 einen ersten voll funktionsfähigen Nachbau der Maschine her.
Leibnizens Tätigkeit als Ingenieur zeigte sich insbesondere bei der erfolglosen
Konstruktion liegender Windmühlen, die Wasser aus Bergwerken pumpen sollten.

Im Lektüreteil werden wir folgende Schriften lesen, die auch von Deleuze besonders berücksichtigt wurden, und diskutieren:

1. Metaphysische Abhandlung (1685/86)
2. Das Neue System (1695)
3. Aus der Vernunft gegründete Prinzipien der Natur und der Gnade (1714)
4. Monadologie (1714)